Bad Königshofen (hf). Kurz nach 18 Uhr schließt Ulrich Sauter seine Praxis in der Eschenbachstraße in Bad Königshofen. Unter dem Arm hat er noch ein paar Patientenakten und in der linken Hand seinen Notfallkoffer. Zum letzten Mal steigt er in der BRK Wache in den Wagen mit der Aufschrift Notarzt. 35 Jahre war das sein Dienstauto, oftmals für eine ganze Woche, oder an den Wochenenden. Die Überraschung war an diesem Tag jedoch perfekt, als der Allgemeinarzt von einer kleinen Gruppe Rotkreuzler begrüßt wurde, die ihm für den letzten Notarztdienst alles Gute wünschten.
Dazu gab es kurze Dankesworte von BRK Kreisgeschäftsführer Ralf Baumeister, sowie von Elias Holzheimer als stellvertretender Rettungsdienstleiter Rhön-Grabfeld und Notarzt Waldemar Hohm. Kurz wurden die Reden unterbrochen, als der Melder ging und die Integrierte Leitstelle Schweinfurt diesmal nicht zum Einsatz rief, sondern dem scheidenden Notarzt einen „ruhigen Dienst“ wünschte. Weder die Integrierte Leitstelle noch Ulrich Sauter konnten wissen, dass dieser letzte Notarztdienst noch einmal Einsätze mit sich brachte. „Von einem ruhigen Dienst konnte man nicht sprechen,“ lacht Ulrich Sauter rückblickend.
Im Gespräch mit dieser Redaktion wirft er einen Blick zurück bis in das Jahr 1990, als er sich entschied die Aufgabe eines Notarztes zu übernehmen. Dazu durchlief er eine einjährige „Lehrzeit“ unter dem damaligen Notarzt Willi Seubert. Eine Qualifikationsvoraussetzung, um den Dienst offiziell antreten zu können, war es gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung zehn lebensrettende Einsätze unter Anweisung nachzuweisen. 1991 wurde er von der KV als Notarzt ermächtigt. Schmunzelnd erinnert Ulrich Sauter an die Zeit ohne Navi. „Wir hatten entsprechendes Kartenmaterial und von den einzelnen Ortschaften einen Lageplan.“
In den vergangenen Jahren gab es verschiedene Einsätze, die gemeistert werden mussten. Dabei kam Ulrich Sauter die Ausbildung in der Bundeswehr als Sanitätsoffizier und Krankenpfleger zugute. Von der Bundeswehr seien viele Aufgaben in den Rettungsdienst übernommen worden. So zum Beispiel die Triage, dabei werden die Patienten in verschiedene Kategorien eingeteilt: Leicht- Schwer- und Schwerstverletzte. Um das Jahr 1996 wurde im Landkreis eine Dienstgruppe für leitende Notärzte initiiert, zusammen mit Notarzt Waldemar Hohm. Dieser Gruppe der Leitenden Notärzten gehörte Ulrich Sauter somit 28 Jahre lang an. All diese Dienste zusammengerechnet käme er auf insgesamt vier Jahre, „wenn ich die am Stück gemacht hätte.“
Dieser Dienstplan sah je eine Woche Notarzt und als Leitender Notarzt vor, „Da blieb nicht allzu viel Zeit fürs Familienleben.“ Klar sei, dass da die gesamt Familie hinter diesem zeitaufwändigen Beruf stand, denn der Arzt musste Tag und Nacht erreichbar sein. Spontan erinnert sich Ulrich Sauter an einen Massenunfall, den Klinikbrand in der Neuro am Rhön-Klinikum, den Brand am Aussiedlerhof May Junkershausen und größere Brände, wie zuletzt das landwirtschaftliche Anwesen in Herschfeld. Das alles war aber nur in Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Organisatorischen Leitern sowie Feuerwehr, THW und Polizei zu bewältigen. „Auf diese Organisationen musste man sich blind verlassen können.“ Der Vorteil, man kannte sich untereinander. Kein Verständnis hat der scheidende Notarzt für die Schaulustigen und ihren Handyaufnahmen. Etwas, das immer mehr zunimmt. Da fehle der Respekt vor den am Unfall beteiligten Menschen.
Aber welche Aufgaben hat ein Leitender Notarzt? Ulrich Sauter: Ein LNA ist nicht am Patienten, sondern derjenige, der dafür sorgen muss, dass alles „ordentlich abgearbeitet wird.“ Teamarbeit sei hier das A und O gewesen. Um das alles aber bewältigen zu können, gab es entsprechende Planspiele, bei dem die verschiedenen Szenarien durchgespielt wurden. Dass eigentlich jeder größere Einsatz, der oftmals mit Schwerverletzten oder Toten endete, seine Spuren hinterläßt ist auch für den scheidenden Notarzt keine Frage. Schlimm sei es, wenn Freunde, Bekannte oder auch Rettungskräfte betroffen sind und man nicht mehr helfen kann. „Das steckt man nicht so einfach weg.“ Früher sei es so gewesen, dass man solche Erlebnisse selbst verarbeiten mussten, heute gibt es dafür die Psychisch soziale Notfallversorgung.
Einprägende Erlebnisse seien erfolgreiche Reanimationen oder auch Geburten auf dem Weg in die Klinik oder im Rettungswagen. Einmal musste man einen 11-Jährigen im Wasser auf der Schaufeltrage versorgen, um schnell helfen zu können. Wenn Ulrich Sauter ein Resümee zieht, sagt er, dass er gerne diese Aufgaben übernommen hat. Allerdings habe er als Notarzt festgestellt, dass heute viele Menschen das jeweilige Schicksal nicht annehmen können, sondern immer einen Schuldigen suchen. „Die Leute können manche Dinge nicht annehmen, das hat unsere Welt leider verlernt.“